Vorwort
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Thomas Rabe


Dieses Buch über meinen Großvater John Rabe, den ich nie persönlich kennengelernt habe, soll einen Einblick in sein Leben, seine Zeit in China und insbesondere in Nanking (Nanjing/“南京”) 1937/1938 während des japanischen Überfalls auf China geben. Insgesamt mussten 18 Millionen Chinesen auf der Flucht vor den Japanern seit dem Sommer 1937 ihre Häuser in und um Shanghai (Shanghai/“上海”), Soochow (Suzhou/“苏州”) und Wuxi (Wuxi/“”) und von August bis Dezember 1937 von Hangchow (Hangzhou/“杭州”), Chinkiang (Zhenjiang/“镇江”), Wuhu (Wuhu/“芜湖”) und Nanking verlassen und fliehen. Flüchtlingscamps für 450.000 Chinesen wurden eingerichtet; mindestens 300.000 chinesische Soldaten starben (Timperley, 1938).

Der kriegerische Überfall der Japaner auf China 1937 erreichte mit der Eroberung der Stadt Nanking am 13.12.1937 seinen traurigen Höhepunkt.

Zusammen mit einem Internationalen Komitee, zu dessen Vorsitzenden John Rabe gewählt wurde, gelang es ihm, durch Einrichtung einer neutralen Zone von ca. 2 auf 2 km mit insgesamt 25 Flüchtlingslagern u.a. in der Universität (ca. 30.000) und dem Jingling
(JinLing/“金陵”) College (erst 3.000 dann 20.000) das Leben von über 200.000 Zivilisten vor den japanischen Gräueltaten zu retten. Allein im Haus und dem knapp 500 qm großen Garten meines Großvaters hatten bis Februar 1938 ca. 650 Flüchtlinge Schutz gesucht - es war kalt und regnerisch. Alle mussten mit dem Notwendigsten versorgt werden (Nahrung, Unterstände mit Schilfmatten zum Schlafen etc.).

Es waren die Ärmsten der Armen, denn alle anderen hatten die Stadt Nanking (damalige Hauptstadt von China) flussaufwärts bereits rechtzeitig verlassen. Kurz vor der Eroberung Nankings durch die Japaner verließen auch der Bürgermeisters und der Polizeichef die Stadt. Ihre Aufgaben wurden von John Rabe und dem Internationalen Komitee übernommen.

Insgesamt blieben nur 27 Ausländer beim Einmarsch der Japaner am 13.12.1937 in Nanking zurück, 19 Amerikaner, 5 Deutsche, ein Engländer und zwei Russen. Zu diesen zählten Geschäftsleute wie mein Großvater, der die Firma Siemens in China vertrat, der Deutsche Christian Kröger als Vertreter der deutschen Firma Carlowitz, der Deutsche Eduard Sperling von der Shanghai Insurance Company sowie amerikanische Missionare wie Rev. John G. Magee, Rev. W.P. Mills, Rev. James McCallum, Rev. Ernest H. Forster, amerikanische und britische Mitglieder der Nanking Universität wie Dr. M.S. Bates, Charles Riggs, Dr. Lewis S.C. Smythe und der Direktor des amerikanischen YMCA, Herr Georg Fitch.

Herr Dr. Robert O. Wilson, ein amerikanischer Chirurg am Kulou Krankenhaus (Gulou Yiyuan/“
古楼医院”) und Frau Minnie Vautrin, Leiterin der Jingling Mädchenschule, blieben als Mitglieder des Internationalen Roten Kreuzes, mit einigen anderen, die im Text erwähnt werden, in der Stadt Nanking zurück.

Die Diplomaten hatten Nanking Ende November bzw. Anfang Dezemberg 1937 mit Hilfe von britischen und amerikanischen Militärschiffen verlassen und kamen erst nach Stabilisierung der Situation Anfang Februar 1938 wieder in die Stadt zurück.

Das schönste Weihnachtsgeschenk für meinen Großvater war die Tatsache, dass er in seinem Haus und seinem Garten das Leben "seiner" 650 Flüchtlinge retten konnte - am chinesischen Neujahrstag, dem 31.1.1938 dankten die Flüchtlinge meinem Großvater, den sie auf einem Spruchband als "lebenden Buddha" verehrten.

Nach ihrem Einmarsch in Nanking am 13.12.1937 haben die Japaner mit unvorstellbarer Grausamkeit die verbliebenen und sich ergebenden chinesischen Soldaten in Nanking z.T. auf bestialische Weise (lebendig begraben, ertränkt, mit dem Bajonett durchbohrt oder mit Maschinengewehrsalven erschossen) ermordet ("es sollten keine Gefangenen gemacht werden") und unzählige Frauen - egal ob jung oder alt - vergewaltigt und ermordet.

Über die Ereignisse in Nanking 1937/1938 hat mein Großvater John Rabe Tagebuch geführt - diese 9 Bücher mit mehr als 2.000 Seiten Zeitgeschichte sind erhalten geblieben (www.john-rabe.de) und dienen Historikern zum Verständnis der Zeitgeschichte und als Beispiel, wie man mit Zivilcourage und Menschenliebe Gutes tun kann - nicht allein, sondern man muss oft Gleichgesinnte finden, die Großes möglich machen.

Wer ist der furchtlose Mensch John Rabe, der sich so für andere eingesetzt hat? Es ist mein Großvater, der leider ein Jahr bevor ich geboren wurde, verstarb. Ich selbst kenne ihn nur aus den Erzählungen meines Vaters Otto Rabe, der Sohn von John Rabe, der 1917 in Peking (Beijing/“
北京”) geboren wurde und bis zu seinem 14. Lebensjahr in China aufwuchs. Er hat uns Kindern oft von seiner Jugend und von seinem Vater erzählt; viele Eindrücke über die Person John Rabe verdanke ich auch Frau Ursula Reinhardt, einer Enkelin von John Rabe, die in Berlin lebt und meinen Großvater seit ihrer Geburt in China kannte. Er lebte ab 1938 zusammen mit seiner Frau Dora bis zu seinem Tod im nahen Umfeld von Ursula Reinhardt und ihrer Familie in Berlin.

Als Kinder hörten sich die Berichte unseres Vaters über China immer abenteuerlich an. Wir waren fasziniert, wenn er von Sandstürmen aus der Wüste Gobi, von Termiten im Strandhaus in der Nähe von Tienstin (Tianjin/“
天津”) - in Paitaiho (Beidaihe/“北戴河”) (Badeort zwischen Tientsin und Mukden(Shenyang/“沈阳”)) oder von Schlangen und wie man sie fängt, berichtete. Was unser Großvater allerdings in China geleistet hat, erfuhr ich erst kurz vor dem Abitur. Immer wieder fragte ich, was denn in den Tagebüchern beschrieben wird, die bei uns in Gaggenau, wo mein Vater sich als praktischer Arzt niedergelassen hatte, in Kisten auf dem Speicher lagerten.

Unsere Eltern wollten uns Kinder von den Bildern mit Kriegsgräuel fernhalten. Ein Weltkrieg mit all seinen Schrecken lag gerade hinter ihnen und die Angst vor einem dritten Weltkrieg war greifbar nahe: Berlinkrise 1958, 13.8.1961 Bau der innerdeutschen Mauer durch die DDR, die "Kuba Krise" 1962 etc. Was Krieg bedeutete, konnten wir als Kinder im Vorschulalter nur anhand der Bombentrichter in Kai-serslautern und Gaggenau erahnen - hier galt Spielverbot. Erst im Schulalter sahen wir dann im Fernsehen Filme über den zweiten Weltkrieg und den Holocaust.

Erst während meines Medizinstudiums habe ich die Nanking Tagebücher von unserem Großvater aufgeschlagen und zunächst nur einige Passagen daraus gelesen - es tat sich eine schreckliche Welt von Krieg und Tod auf, die die Angst vor einem Krieg nur verstärkte. Welche Gefühle und welche Angst musste auch Großvater gehabt haben, als er während des japanischen Überfalls auf Nanking dort blieb und sich für seine chinesischen Freunde einsetzte.

Uns Kindern war alles, was mit dem Nationalsozialismus und dem 2. Weltkrieg zu tun hatte, tabu - wir verstanden die Zusammenhänge nicht. Später war uns die Rolle der NSDAP, über die unser Großvater in seinen Nankinger Büchern schrieb, unverständlich und unheimlich.

Seine Taten blieben der Welt über Jahrzehnte verborgen. Anerkennung wurde ihm zu Lebzeiten nicht zuteil; im Gegenteil, 1937 war Deutschland schon mit Japan verbündet, John Rabe half dem späteren Kriegsgegner von Deutschland. Er und seine Familie wurden nach ihrer Rückkehr nach Deutschland in Berlin deswegen verachtet. Die Gestapo verhörte ihn und verurteilte ihn zum Schweigen. Er wurde gezwungen, in einem Schreiben an Hitler zu bestätigen, dass er nichts mehr über die Ereignisse in Nanking sagen werde. Die Filme über die Kriegsgräuel in Nanking, die er von dem amerikanischen Missionar Magee erhalten hatte, wurden beschlagnahmt. Seine Bücher durfte er behalten.

John Rabe hat in China in seinem Haus und auf seinem Grundstück ca. 650 Chinesen mit einer Hakenkreuzfahne das Leben gerettet. Nach dem Krieg hat er am eigenen Leib gespürt, wie wichtig die Hilfe durch andere ist.

Grund genug, über ihn und die Mitgliedschaft in der NSDAP nachzudenken. War er ein guter Mensch, obwohl er damals wie viele Deutsche 1937 an die NSDAP und ihren Führer Adolf Hitler "ein Mensch wie Du und ich" glaubte? Zu dieser Frage wird sich Dr. Erwin Wickert in dieser Biographie äußern (s.u.).

Zur Beurteilung der historischen Abläufe haben mir die Ausführungen von Herrn Dr. Erwin Wickert, einem Freund von John Rabe, der ihn 1936 zum ersten Mal in Nanking besuchte, und späterer Botschafter von Deutschland in China, sehr geholfen. Er hat 1996 die Nankinger Tagebücher unseres Großvaters im DVA Verlag, später Random House, in gekürzter, aber kommentierter Form herausgegeben. Dieses Buch "John Rabe. Der Gute Deutsche von Nanking" wurde in mehrere Sprachen übersetzt (englisch, chinesisch, japanisch, koreanisch). Auszüge hiervon durfte ich für diese Biographie verwenden. Er hat auch diese Biographie durchgesehen, ein Vorwort und eine Stellungnahme zu "John Rabe - ein großer Deutscher" verfasst, wofür ich ihm sehr dankbar bin.
In diesem Buch möchte ich chronologisch das Leben meines Großvaters von seiner Geburt, seine Kindheit und Jugend, seine Zeit in Afrika und in China sowie im Nachkriegsdeutschland darstellen. Im Mittelpunkt stehen die Ereignisse in Nanking 1937/1938. Hierbei beziehe ich mich auf folgende Bücher von ihm:

- Eine handgeschriebene Biographie ("Rabes Biograph-vieh") (Anm: "vieh" bedeutet im Deutschen Tier und stellt ein Wortspiel zum Namen Rabe, ein großer schwarzer Vogel, dar), die mit der Geburt in Hamburg beginnt und die Ereignisse bis zum Ende seiner kaufmännischen Ausbildung in Afrika umfasst.

- Das Leben und die Kultur der Chinesen in China und am Hof in Peking in den Jahren 1906 bis 1924 beschreibt John Rabe in vier Bänden
"Peking - wie ich es sah" und in dem Buch "Die letzten Edikte der großen Letzten Kaiserin Witwe Tsu-Hsi" (Anm.: eine Zusammenfassung dieser Bücher wird Mitte 2009 in chinesischer Sprache veröffentlicht).

- Seine Zeit als Mitarbeiter der Firma Siemens in China, zuerst in Peking, dann in Tientsin und zuletzt in Nanking bis 1934 fasst er in dem Buch
"Ein Vierteljahrhundert beim Siemens-Konzern in China" zusammen, das er seinerzeit Carl-Friedrich von Siemens widmete.

- In den
Tagebüchern über Nanking (2 Bücher mit dem Titel: Bomben über Nanking; 9 Bücher mit dem Titel: Feindliche Flieger über Nanking") beschreibt er die Kriegserlebnisse in Nanking 1937 bis zu seiner Rückberufung nach Deutschland Anfang 1938.

- Weiterhin auf das Buch:
"Mein Elternhaus", das einen Blick in das Wohnhaus der Familie Rabe in Tientsin, 1925 bis 1930 ermöglicht, aber auch in ihr Leben.

- Eine
"Loseblatt-Sammlung zur Familienchronik" enthält zahlreiche Geschichten und Anekdoten über die Vorfahren und die Zeit meines Großvaters in Afrika.

- Auch in den Büchern
"Der Lachende Buddha" und "Reste der chinesischen Truhe" erfahren wir etwas über das Leben der Familie Rabe sowie über Kunst und Kultur in China.

- Durch die Gestapo zum Schweigen verurteilt, schreibt er erst ab 1945 wieder ein Tagebuch über die Zeit nach dem Krieg (Arbeitstitel "Nach 1945"). Hierin geht es um den täglichen Kampf ums Überleben. Er und seine Familie wären fast verhungert. Er tauscht einen Teil seines chinesischen Hausstandes gegen Kartoffeln ein.

- Auf die genannten Bücher wird im Abschnitt "Die (Tage)-bücher von John Rabe separat eingegangen.

2005 habe ich als Enkel von John Rabe zusammen mit meiner Familie in Heidelberg das
John Rabe Kommunikationszentrum ins Leben gerufen und mehr als 20 Bücher (3 Bücher sind während der Kriegswirren verloren gegangen: "Das Leben des Konfuzius", "Plünn und Knoken", "Das Bilderbuch mit den Silberecken") von John Rabe und weitere Zeitdokumente zusammengetragen.

Im Namen der Familie stelle ich die historischen Zeitdokumente, die unser Großvater John Rabe als Tagebücher über die kriegerische Auseinandersetzung von Japan mit China in Nanking 1937/1938 angefertigt hat, interessierten Historikern ("Japan-China Joint History Study") aus China und Japan zur Verfügung.

Eine Internetplattform (www.john-rabe.de) informiert über die Taten von John Rabe und die Arbeit des Heidelberger John Rabe Kommunikationszentrums.

Am 31.10.2006 wurde das ehemalige Wohnhaus von John Rabe in Nanking nach Restaurierung feierlich wieder eröffnet
(Abb. 1).

Für die Familie Rabe habe ich zusammen mit Frau Ursula Reinhardt, geb. Schläger, Enkelin vonJohn Rabe und meinen beiden Brüdern, Andreas Rabe (Gaggenau) und Michael Rabe (Böhl Iggelheim bei Heidelberg) sowie meiner Frau Elisabeta Rabe diese Biographie zusammengetragen. Sie soll ein Bild vom Menschen John Rabe und seiner Zeit vermitteln. Es soll gezeigt werden, was man mit Zivilcourage und der Hilfe von Freunden für seine Mitmenschen erreichen kann.



Ein
internationaler Spielfilm über "John Rabe" (Regie: Oskarpreisträger Florian Gallenberger; in den Hauptrollen u.a. Ulrich Tukur als John Rabe; Steve Buscemi als Dr. Wilson, Daniel Brühl als Dr. Rosen) wird die Zeit nochmals aufleben lassen (Produzenten: Mischa Hoffmann, Jan Moyto, Benjamin Herrmann).

Als Autor und Herausgeber dieses Buches bin ich mir durchaus bewusst, dass das politische Geschehen von 1933 - 1945, lange Schatten auf unser Land geworfen hat. Dennoch haben alle sich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt und versucht das unsagbare Unrecht an unseren jüdischen Mitmenschen durch ein besseres Miteinander, durch Toleranz und Verantwortung wieder gut zu machen. Hinter uns allen liegt aber auch Hiroshima (
广/広島市) (chin. - japanisch) und Nagasaki (长崎/長崎市) -  (chin. - japanisch) - beide haben ein unermessliches Leid für Japan gebracht. Weder wir Deutsche sind heute identisch mit den Soldaten und Zivilisten, die im Namen unseres Volkes gemordert haben - noch kann die japanische Bevölkerung mit Ihrer Armee von damals verglichen werden. Die Anerkennung unserer deutschen Vergangenheit hat den Weg frei gemacht für uns und unsere Kinder und ich wünsche mir, dass sich auch durch Kenntnisnahme der Ereignisse in Nanking 1937/1938 durch Japan alte Gräben zwischen Japan und China schließen und beide Länder enger aneinander rücken - ein Meilenstein für den Weltfrieden.

Der Winter ist soeben vorbei, es ist immer noch kalt und regnerisch - wie furchtbar muss es für alle gewesen sein, die im Freien in Lagern z.T. durchnässt und halberfroren und in der ständigen Angst um ihr Leben auf den nächsten Tag gewartet haben.

Wollen wir diese nicht vergessen - in der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in einer Welt, die Platz für alle hat.

Für den Weltfrieden wünschte ich mir eine Städtepartnerschaft zwischen

Nanking und Hiroshima
(
广/広島市)
(chin. - japanisch).



April 2009



Thomas Rabe
Enkel von John Rabe
im Namen der Familie Rabe